Meine Erfahrungen mit der Chromatischen Harfe

Harfe am Meer

Harfenphilosophie

Die chinesische Musiktheorie definierte schon vor 1000 Jahren das zwölftönige System in einer weiblichen und männlichen Ganztonskala, die sich wie Yin und Yang zur Einheit ergänzen. Dies ist der Grundgedanke des chinesischen Tao. Die beiden Saitenebenen der Ganztönigen Chromatischen Harfe verhalten sich wie Yin und Yang: Sie sind einander entgegengesetzt und doch von gleicher innerer Struktur. Erst in ihrer Verbindung gewinne ich die vollständige chromatische Skala. Es macht mir Mut, in dieser alten Weisheit die Idee meiner Harfe wiederzufinden.

Drei Instrumente vereinen sich für mich in der Chromatischen Harfe. Die Feinheit der Klassischen Gitarre lebt in der Zartheit der Besaitung und in der Vielfältigkeit der Handhaltungen. Die Finger können feinste Klangnuancen erzeugen, indem sie die Saiten auf verschiedenste Weise berühren. Das Klavier ist durch seine universelle Fähigkeit vertreten, jeden Ton zu jeder Zeit mit jedem anderen Ton kombinieren zu können, ohne vorher irgendwelche Vorbedingungen (wie Klappen und Pedale) schaffen zu müssen – und die Harfe selbst trägt die Schönheit der in Freiheit ungedämpft schwingenden Saiten bei.

Das Spielgefühl

Schon nach überraschend kurzer Zeit war mir der Anblick der vielen sich durchkreuzenden Saiten vertraut, denn das Auge fixiert beim Spielen ja die Hand und nicht die Saiten. Im Gegenteil – während meine Hände sich früher auf der flachen Ebene des einfachen Saitenbezuges bewegten, ist das Spielfeld nun „dreidimensional” und damit „griffiger” geworden.

Der Winkel der Saitenebenen zueinander erlöst den kleinen Finger aus seiner Verbannung, weil die untere Ebene der Hand entgegenkommt. Das ist ein Riesenvorteil, denn europäische Musik ist oft von Fünftonfiguren geprägt. Der Winkel der sich kreuzenden Saitenebenen ist bei meiner Harfe größer als beim historischen spanischen Vorbild, so dass die Hand für Halbtöne nicht nach oben oder unten rücken muss, weil der Daumen nun auf der einen und die übrigen Finger auf der anderen Saitenebene spielen können.

Ich benutze die moderne Spieltechnik (Daumen oben) genauso oft wie die alte (Daumen unten) und wechsle häufig zwischen beiden. Die Dreidimensionalität der Saiten ermöglicht mit den Handstellungswechseln eine Fülle neuer und ungewöhnlicher Fingersatzmöglichkeiten. Aus neuen Fingersätzen entstehen neue musikalische Ideen, die schließlich neue Horizonte erschließen.

Ich bin nicht allein

Seit zwei Jahren unternehme ich mit meiner Chromatischen Harfe und meinem Publikum eine Zeitreise durch die Epochen: Transkriptionen von der altspanischen Vihuela, kontrapunktische Kompositionen des Spätbarock, romantische spanische Gitarrenmusik und die innigen Klangbilder Eric Saties formen ein Konzert jenseits des üblichen Harfenrepertoires.

Auf der ersten öffentlichen Präsentation begegnete mir mein erster Schüler, der als Physiker sofort von der Logik der Saitenanordnung begeistert war. Seither diskutieren wir oft über ideale Fingersätze und freuen uns, wenn wir unabhängig voneinander auf die gleichen Ideen kommen. Er baute sein Instrument in einem Baukurs der Klangwerkstatt unter Anleitung der Instrumentenbauer André Schubert und Christoph Löcherbach.

Die Klangwerkstatt in Markt Wald im Allgäu verwirklichte meine Idee als Böhmische Harfe, die von ihren zukünftigen Spielerinnen und Spielern sogar selbst gebaut werden kann. Das wird möglich durch ihr einfaches Prinzip, denn bei allen Neuerungen ist diese Harfe ein unkompliziertes Instrument. Die einzige Mechanik sind ihre Wirbel. Kein Klirren und Scheppern, kein Justieren von Klappen, Seilen, Stangen oder Pedalen. Einmal gestimmt – stimmt sie perfekt. Zum Glück gibt es heute chromatische Stimmgeräte!

Das Jahr 2003 wird für mich ganz der Chromatischen Harfe gewidmet sein. Mit meinem ersten Schüler sind zwei weitere Schülerinnen dem Abenteuer Chromatik auf der Spur. Für sie und weitere Mutige möchte ich ein Lehrbuch chromatischer Musik schreiben, das direkt von der neuen Saitenanordnung inspiriert ist. Denn neue Wege für die Finger geben neuen Klängen Raum.

Unabhängig von mir hat sich ein Freudeskreis der Chromatischen Harfe gebildet, der jährliche Treffen organisiert. Mehr Infos dazu finden sich unter:   » www.chromatiker.de